Walpurgisnacht 1762

Es ist selten, dass ich allein auf dem Hof bin. Endlich kann ich mich hinsetzen. Die Abendsonne scheint durch die hellgrünen, jungen Blätter. Die Schweine sind versorgt, die Kuh gemolken, aber das beste Huhn kränkelt seit heute morgen. Ich lasse die Sonne auf meine nackten Füsse scheinen. Hennes und die Kinder sind im Dorf, denn es ist der Vorabend des Frühlingsfestes.
Walpurgis… Grossmutter erzählte, dass die Frauen früher an diesem Abend auf einer Waldwiese tanzten und das Idda und Cerunnos, ihr Gefährte in Hirschgestalt, an diesem Tag zusammenliegen… So eine Walpurgisfeier fände ich schön. Aber die Zeiten haben sich geändert.
Hennes wird betrunken nach Hause kommen. Ich werde die Kinder zu Bett bringen. Seit Mora, die älteste, nicht mehr lebt, gibt es wieder mehr zu tun. Ob sie tatsächlich an einem Fieber starb, wie ihr Hausherr sagte, oder ob er sie geschwängert hatte, werde ich nie erfahren. Mora ging viel zu früh.
Morgen spannen wir die Kuh vor den Wagen und fahren nach Heiligen Brunnen. Es werden viele Leute da sein, die sich am Frühlingsfest vergnügen. Hoffentlich finde ich eine Gelegenheit, einen Moment für mich allein zu sein. Am Weiher, wo die Seelen herkommen, möchte ich um Gesundheit für meine verbliebenen Kinder bitten.
Schön wie die Vögel singen. Vielleicht sollte ich Isis danken, ein Feuer für sie entfachen und ihr ein Geschenk machen. Idda, Isis und die Feen wohnen mit den Tieren im Wald. Ich habe noch vom selbstgebackenen Brot, etwas hart ist es schon, aber mit dem feinen Käse von Hennes ein gutes Nachtessen. Davon könnte ich etwas in den Wald bringen…
Aber heute wird Sebi noch vorbeikommen. Mein Bruder – er wählte ein Leben als Mönch. Dabei ist er gar nicht so gläubig! Er lacht über den verbissenen Pfarrer im Dorf und weiss, dass ich Isis statt Maria anrufe. Endlich jemand, mit dem ich frei sprechen kann. Ich vertraue ihm. Aber ganz alles erzähle ich ihm auch nicht.
Zum Beispiel, dass ich mit dem warmen Wind in andere Zeiten reise. Dass ich die Pflanzen um Rat frage, die Wolken lese und Bäume ehre. Es ist verboten, und Reni, die junge Frau des Hanfbauern, wurde deshalb nach Konstanz gebracht. Das ist zwei Jahre her. Ihre Kinder waren noch klein, und sie werden sich nie an ihre Mutter erinnern können.
Da kommt Sebi. Er kaut an einem Grashalm und lacht. Gut, ihn zu sehen.