Die vorsätzliche Vernichtung von Frauenweisheit und Frauenmacht in Europa

Die «Hexen»verfolgung
Die organisierte Verleumdung, Verfolgung und Ermordung von Frauen, bis heute «Hexen»verfolgung genannt, hatte ihren Höhepunkt zwischen 1480 bis 1780. Sie brachte unsägliches Leid über hunderttausende Frauen, deren Kinder und Familien.
Heute wird von einem unerklärlichen Wahn, der die Menschheit ergriff, gesprochen. Dabei werden die Täter und ihre Absichten verschwiegen. Doch das umfangreiche Verbrechen war keine Verirrung, sondern eine Strategie von Kirche, Staat und Wissenschaft, mit der Frauen ruhiggestellt, verdrängt, entmachtet und unterworfen wurden. Und dies wirkt bis heute nach.
Die Verleumdung als «Hexe» traf keine Randgruppe. Es konnte jede weibliche Person treffen. Arme, Bäuerinnen, Städterinnen und Adlige. Jede Frau, sogar Kinder, konnten in den Verdacht geraten, durch Zauberei Schaden zu stiften. So destabilisiert man die Gesellschaft, spaltet Frauenbünde, zerreisst Familien und zerstört die Solidarität in der Bevölkerung.
Wer waren die Täter und was war ihr Ziel?
Die Begründer des «Hexen»wahns und die von ihnen angeheuerten «Hexen»jäger waren strategische Ideologen. Sie pflanzten das fantastische Feindbild der Schadensstifterin und Teufelsbuhlerin Jahrhunderte lang in die Köpfe der Menschen.
Die Verantwortlichen stammen aus Kirche, Obrigkeit und aufkeimender Naturwissenschaft. In diesen Berufsfeldern hatten Männer das klare Ziel, Frauen auszuschalten, die ihrer Macht gefährlich werden konnten: Die Kirche entledigte sich durch die Anklagen der letzten Anders- und Freigläubigen; die Obrigkeit verdrängte städtische Frauen aus einflussreichen Positionen wie Zünften und eignete sich deren Besitztümer an, und die Wissenschaft entriss den Weisen Frauen die Heilkunde und verbot ihnen in der Folge die Ausführung der ärztlichen Praxis.
Als «Hexen» verleumdete Frauen, Kinder und Männer wurden zudem schuldig gemacht an allem, das schieflief. Die eigentlichen Täter traten in der Folge als Retter auf, vernichten das «Böse» mitsamt den dafür verantwortlich gemachten Menschen und stellen die «Ordnung» wieder her. Damit festigten sie nachhaltig ihre Macht.
Auf dem Höhepunkt der Misogynie
Die Frauenfeindlichkeit in Europa nahm ihren Anfang mit der Patriarchalisierung von Religion und Staat, und damit bereits in der Antike. Dieselben Männer, die bis heute als edle Denker oder revolutionäre Macher gerühmt werden, sprachen Frauen bis ins 20. Jh. hinein Geist, Körperkraft, adäquate Emotionen und eine Seele ab. Das Wort «Mensch» meinte über Jahrtausende ausschliesslich den Mann, und ich bin mir nicht sicher, ob es nicht immer noch so ist.
Die «Hexen»verfolgung war ein Massenmord, der mit Hilfe von kirchlichen und weltlichen Gesetzen strategisch geplant und durchgesetzt wurde. Sie war ein politisches Instrument zum Umbau der gesellschaftlichen Ordnung, der Kontrolle, der Machtsicherung und Bereicherung. Die Abwertung des Weiblichen in der männerzentrierten Gesellschaft fand hier einen ihrer grauenvollsten Höhepunkte.
Wo stehen wir heute?
Im Gedenken und in Ehrerbietung gegenüber den Opfern der «Hexen»verfolgung, meinen Ahninnen, benutze ich das Wort «Hexe» in Anführungszeichen. Ich erforsche zusammen mit anderen Frauen das vernichtete europäische, frauenspezifisches Wissen. Wir rekonstruieren die weibliche Geschichte, puzzlen ihre Überreste zusammen und geben unseren Vormüttern ihre Würde zurück.
Becker, Bovenschen, Brackert u.a., Aus der Zeit der Verzweiflung, Frankfurt 1977. Erika Wisselinck, Hexen – Warum wir so wenig von ihrer Geschichte erfahren und was davon auch noch falsch ist, München 1986.